AAT #18 – Dr. Tim Flassbeck

Oktober 21, 2025
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Jan

Wird die Notaufnahme zum Tele-INZ?

Wie Telemedizin die Notfallversorgung verändern kann – Ein Gespräch mit Dr. Tim Flassbeck

Die Notfallversorgung in Deutschland steht unter Druck. Überfüllte Notaufnahmen, fehlendes Personal und eine Struktur, die oft mehr Chaos als Hilfe produziert – das ist längst kein Ausnahmezustand mehr, sondern Alltag in vielen Kliniken. Doch wie kann eine Versorgung aussehen, die diesen Herausforderungen wirklich gerecht wird?

In der 18. Folge von All about Telemedizin spricht Jan Zeggel mit einem der profiliertesten Experten im Bereich innerklinische Notfallmedizin: Dr. Tim Flassbeck, Direktor für Innerklinische Notfallmedizin an der München Klinik und ehemaliger Gestalter der vielbeachteten Notaufnahme in Cottbus. Gemeinsam diskutieren sie, warum die klassische Notaufnahme an ihre Grenzen stößt – und warum digitale Konzepte wie das Tele-INZ mehr als nur ein nice-to-have sind.


Status Quo: Die Notaufnahme als Brennglas systemischer Probleme

Dr. Flassbeck beschreibt die Realität deutscher Notaufnahmen ungeschönt:

„Es ist vollkommen irre, was da passiert. Und die Reaktionsmuster darauf sind es auch.“

Mehr als 12 Millionen ambulante Notfälle wurden 2023 in deutschen Notaufnahmen behandelt – viele davon ohne wirklichen medizinischen Notfall. Gleichzeitig geben 93 % der Notaufnahmen an, unter Personalengpässen zu leiden. Doch statt struktureller Lösungen gibt es mehr Bürokratie, mehr Scheinlösungen – und zu wenig Mut, neue Wege zu gehen.


Cottbus als Blaupause: Wie moderne Notfallversorgung aussehen kann

Cottbus ist eines der wenigen Beispiele, in denen eine Notaufnahme von Grund auf neu gedacht wurde. Das Herzstück: ein zentraler Triagepunkt mit einer sogenannten „Flow-Managerin“, die Patienten koordiniert – standardisiert, empathisch, medizinisch fundiert.

👉 Der Clou:

35 % der Patienten werden hier nach der Triage direkt ins benachbarte MVZ weitergeleitet. Nicht weggeschickt, sondern weitergeleitet – mit einem positiven Wording und klarer Struktur. Nur ein Drittel dieser Weitergeleiteten wird dort überhaupt noch behandelt. Die meisten gehen danach direkt nach Hause.

Was hier wirkt? Architektur + Kommunikation + Prozesse + Digitalisierung.


Telemedizin als Schlüssel: Das Tele-INZ

In vielen Regionen fehlt es an niedergelassenen Partnern, Bereitschaftspraxen oder MVZs. Dr. Flassbeck bringt es auf den Punkt:

„Was tun, wenn die KV nicht da ist, wenn der Peak kommt? Dann braucht es andere Lösungen.“

Genau hier kommt das Tele-INZ ins Spiel:

Eine digitale Struktur, in der ärztliche Triage, Beratung und sogar erste Versorgungsschritte per Video oder Remote-Support stattfinden können – auch aus dem Rettungswagen, dem Pflegeheim oder der Notaufnahme selbst heraus.

Flassbecks Einschätzung:

„Telemedizin ist alternativlos. Nicht nur möglich – sondern nötig.“


Appell an die Häuser: Fangt an. Wartet nicht.

Ein zentrales Motiv der Folge: Es wird keine Lösung von außen kommen. Die Häuser müssen selbst aktiv werden – mit Partnern aus der Region, mit digitalen Tools, mit dem Mut zur Umstrukturierung.

Denn wie Flassbeck sagt:

„Unstruktur kann man nicht durch mehr Personal lösen.“

Dabei geht es nicht nur um Effizienz, sondern auch um Wirtschaftlichkeit. In Cottbus stieg durch die Umstellung die Konversionsrate von ambulant zu stationär von 37 auf 48 % – bei gleichem Personalschlüssel. Effizienz statt Überlastung.


Das Invest rechnet sich – und macht Spaß

Cottbus zeigt auch: Eine moderne Notaufnahme ist nicht nur effizient – sie ist auch ein Ort, an dem Menschen gerne arbeiten.

Ergebnis der Umstrukturierung:

  • Fluktuation: von 16,4 % auf 1,39 % gesenkt
  • Wartepool statt Personalnot
  • Schichtwegstrecken: um bis zu 14 km reduziert

Spaßbringende Infrastruktur – das ist für Flassbeck kein Luxus, sondern essenziell.

„Wenn die Infrastruktur stimmt, finden sich auch wieder Menschen, die dort arbeiten wollen.“


Über den Tellerrand: Was Deutschland von anderen Ländern lernen kann

Im internationalen Vergleich ist Deutschland oft überreguliert – und dabei ineffizient. Ein Zitat aus der Folge bleibt besonders hängen:

„Ihr in Deutschland zieht es vor, datengeschützt zu sterben.“

Stattdessen sollten wir den Fokus wieder auf die Patient:innen legen – und pragmatisch, medizinisch fundiert und digital denken. In anderen Ländern wie Thailand wird dies längst umgesetzt: kompakte, strukturierte Räume, klare Zuständigkeiten, telemedizinische Anbindung.


Fazit: Die Notaufnahme von morgen ist digital, integriert – und selbst gestaltet

Die Folge mit Dr. Flassbeck ist ein Weckruf – und gleichzeitig ein Blueprint.

Telemedizin ist keine ferne Zukunftsvision mehr, sondern längst Teil funktionierender Modelle. Und sie wird überlebenswichtig, wenn wir Versorgung in der Fläche und unter realen Bedingungen sicherstellen wollen.

Was es jetzt braucht:

  • Den Willen, Verantwortung zu übernehmen
  • Mut zur digitalen Lösung
  • Regionale Kooperationen – auch außerhalb der klassischen KV-Strukturen
  • Und ein neues Verständnis davon, was moderne Notfallversorgung leisten kann (und muss)

🎧 Jetzt die ganze Folge anhören – auf Spotify, Apple Podcasts & Co.

👉 Folge 18: „Wird die Notaufnahme zum Tele-INZ?“

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